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Vom Papyrus zum digitalen Buch

Die Bibliotheca Alexandrina – Wiedereröffnung nach 2000 Jahren

Von Kurt Schlünkes

Der Legende nach bestimmte Alexander der Große selbst den Bauplatz der Stadt Alexandria. An einem kleinen Mittelmeerhafen nahe der Insel Pharos gelegen, sollte die Stadt einer der bedeutendsten Kreuzwege des antiken Handels und Seewesens werden. Nach den Plänen des rhodesischen Architekten Dinokrates wurde im Jahre 332 v. Chr. mit dem Bau begonnen. Bald entwickelte sich Alexandria zu einem Zentrum antiker Gelehrsamkeit. Im Geiste der politischen Grundsätze Alexanders herrschte Ptolomäus I. Soter. Er schuf ein Klima der Toleranz und des Respekts. Als Freund höherer Bildung plante er die Einrichtung einer öffentlichen Bibliothek in Alexandrien, die später als erste Universalbibliothek der Welt in die Geschichte eingehen sollte.

Das Erbe Kallimachos

Für zahllose Gelehrte und Dichter, Kopisten und Schreiber, Bibliothekare und Übersetzer bildete die Bibliothek Alexandriens den Mittelpunkt ihres wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens. Für immer mit der Entwicklung der Bibliothek verbunden ist der Name Kallimachos. Er war der erste, der einen monumentalen Katalog der Bibliothek anlegte, in dem jedes der wertvollen Schriftstücke systematisch verzeichnet und mit einer Kurzfassung oder einem Kommentar versehen wurde.

Die Bibliothek sollte zunächst mit einer Kopie aller in Griechisch verfassten Werke ausgestattet werden. Später begann man mit der Sammlung bedeutender Bücher anderer Sprachen. Die Zahl der Papyrusrollen, die die Bibliothek von Alexandria enthielt, wird auf 400.000 bis 700.000 geschätzt. Neben die Sammlung von Originalschriften trat die Übersetzungsarbeit. So wurde das Alte Testament erstmalig vom Hebräischen ins Griechische übertragen. Auch babylonische und buddhistische Texte wurden hier übersetzt.

Nach dem Willen von Ptolomäus sollte Alexandria eine Kulturmetropole werden, die Bibliothek zu einem geistigen Zentrum der hellenistischen Welt. An die Bibliothek angeschlossen waren das Museion, ein Ort künstlerischen Schaffens, und Forschungseinrichtungen wie eine Sternwarte, ein zoologischer und ein botanischer Garten.

Wissenschaftler verschiedener Kulturen und Sprachen trafen sich in Alexandria, um über das damalige Wissen zu diskutieren. Zu den Geistesgrößen, die hier arbeiteten, zählen Aristarchus, der als einer der ersten behauptete, dass sich die Erde um die Sonne dreht, und Eratosthenes, der als erster den Erdumfang bestimmte. Herophilus entdeckte, dass das Gehirn den Körper kontrolliert. Archimedes, der größte Mathematiker der alten Welt, und Klaudios Ptolomaios, der bedeutendste Kartograph des Altertums, lehrten hier. Euklid gründete in Alexandria im dritten Jahrhundert v. Chr. eine große Schule der Mathematik.

Von dem "kollektiven Gedächtnis", als das man die antike Universalbibliothek verstand, ist nichts übrig geblieben. Der größte Teil der Sammlung ging verloren, als Julius Cäsar 48 v. Chr. bei der Eroberung Alexandrias die Flotte der Ägypter verbrannte und das Feuer vom Hafen auf die Stadt übersprang. Andere Katastrophen folgten. Im Verlauf des dritten Jahrhunderts wurden die Sammlung der Bibliothek und die Gebäude nach und nach vollends zerstört.

Der Traum Alexanders

Der Traum Alexanders sollte jedoch zweitausend Jahre später erneut Wirklichkeit werden. Die ägyptische Regierung und die Universität von Alexandria fassten den Entschluss, gemeinsam mit der UNESCO die berühmte Bibliothek wiedererstehen zu lassen.

Seit 1986 setzte sich die UNESCO dafür ein, eine neue Bibliothek nach antikem Vorbild aufzubauen und sie mit einem modernen Lern- und Forschungszentrum auszustatten. 1987 appellierte die UNESCO an die internationale Gemeinschaft, sie beim Wiederaufbau der Bibliothek von Alexandrien zu unterstützen. Der Plan war, ein neues geistiges und kulturelles Zentrum im Mittelmeerraum zu errichten. 1988 schrieb die UNESCO einen internationalen Wettbewerb für den Bau aus. Das norwegische Architekturbüro Snøhetta wurde aus etwa 1.400 Bewerbern aus 77 Ländern ausgewählt. 1990 bei einem Treffen in Assuan wurde der Grundstein für einen internationalen Stiftungsfonds gelegt, zu dem arabische Staaten und Privatpersonen 65 Millionen US-Dollar beisteuerten. So konnte 1995 mit dem Bau begonnen werden. 2001, nach einer Bauzeit von 13 Jahren, wurde das insgesamt 220 Millionen US-Dollar teure Projekt abgeschlossen. Wegen der schwierigen politischen Lage in Nahost hat die ägyptische Regierung die Eröffnung mehrfach verschoben. Erst am 16. Oktober 2002, fand die offizielle Wiedereröffnung der Bibliotheca Alexandrina statt.

Die moderne Version in Form einer "Sonnenscheibe" ist die größte Bibliothek im Nahen Osten und in Afrika. Es ist ein außergewöhnlicher Architekturkomplex, ausgestattet mit der neuesten Informationstechnologie.

Antike Gelehrsamkeit in modernem Gewand

Wie die aufgehende Sonne erhebt sich der futuristische Bibliotheksbau vom Ufer des Mittelmeers. Das Gebäude ist voller Symbolik. Das zum Meer hin geneigte runde Flachdach, die "Sonnenscheibe", ist nach Westen zu Europa hin ausgerichtet. Die gläserne Struktur des Baus symbolisiert die Offenheit und Weite des Wissens. In die grauen Granit-Mauern sind Buchstaben aus allen 120 Alphabeten der Welt eingraviert als Zeichen dafür, dass die Bibliothek von Alexandria dem Wissen aller Völker verpflichtet ist.

Das Gebäude hat eine Gesamtfläche von 80.000 Quadratmetern und ist 160 Meter hoch. Damit es nicht wie ein ungestümer Wolkenkratzer wirkt, haben die Architekten die vier unteren der insgesamt elf Stockwerke in den Untergrund verlegt. Der östliche Teil des Gebäudes ist von einem künstlichen See umgeben und mit Papyruspflanzen umsäumt. Sie symbolisieren den untergegangenen Schatz der Papyrus-Schriftrollen der alten Bibliotheca Alexandrina.

Im Inneren der Bibliothek befindet sich ein großer Lesesaal, ein offener Raum, der sich auf elf Etagen erstreckt und 1.700 Besuchern Platz bietet. "Es ist nicht der größte Leseraum der Welt, aber der schönste", sagt der Direktor der Bibliotheca Alexandrina, Ismail Serageldin. Weiches Sonnenlicht überflutet alle Teile des Raumes, die hohe, von schlanken Säulen getragene Decke schafft die stimulierende Atmosphäre dieser "Kathedrale des Wissens".

Platz für acht Millionen Bücher

Die Bibliothek bewahrt zur Zeit 240.000 Bücher. Bis 2020 soll sie einen Buchbestand von acht Millionen Exemplaren haben. Der Lesesaal, die 248 Studierzimmer und 300 Computerarbeitsplätze bieten dem Besucher modernste Technik. Einige der seltenen Bücher und Handschriften der Bibliothekssammlung wurden bereits digitalisiert. Durch Berühren eines Computerbildschirms kann man beispielsweise die elektronischen Seiten eines antiken Korans durchblättern.

Die Digitalisierung ermöglicht es, Dokumente von unschätzbarem historischen Wert zu konservieren und gleichzeitig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die raren Manuskripte und Karten sind nicht nur vor Ort im Handschriften-Museum elektronisch zugänglich, sondern zum Großteil auch im Internet verfügbar. Im modernen Informationszeitalter wird auch die Bibliotheca Alexandrina die meisten Besuche auf ihrer Website zählen. Sie ist die einzige Bibliothek der Welt mit einer dreisprachigen Homepage in Arabisch, Englisch und Französisch.

Die Bibliothek ist mit modernen Katalogisierungs- und Dokumentationssystemen ausgestattet. Sie umfasst wissenschaftliche Museen, Forschungsinstitute, ein Planetarium, Kunstgalerien und ein Kongresszentrum. An die Bibliothek angeschlossen sind außerdem die Taha Hussein Bibliothek für Blinde, ein Laboratorium für die Restaurierung antiker Schriftrollen und ein Ausbildungszentrum. Die UNESCO unterstützt diese Einrichtungen und half bei der Entwicklung des Informationssystems und der Website der Bibliothek.

Ein internationaler Kulturkomplex

Die neue Bibliothek respektiert den Geist der einstigen Universalbibliothek. Serageldin: "Es grenzt an ein Wunder, dass mitten in einer Krisenregion, wo wir über den 'Kampf der Kulturen' sprechen, eine neue derartige Einrichtung wiederaufersteht, die der weltweiten Verständigung, der Toleranz und dem Dialog zwischen den Kulturen gewidmet ist." Ein zukünftiger Forschungsschwerpunkt der Bibliothek ist die "Ethik der Moderne".

veröffentlicht 2003
   
 

Der Artikel ist erschienen in: UNESCO heute, Zeitschrift der Deutschen UNESCO-Kommission, Ausgabe 1-2, 2003. S. 35-36.

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