Ein
wertvolles Unterwasser-Archiv der Menschheit
Prähistorische
Pfahlbauten in sechs Alpenländern sind UNESCO-Welterbe
Von
Kurt Schlünkes
Das Welterbekomitee der UNESCO hat im Juni 2011 die
"Prähistorischen Pfahlbauten rund um die Alpen"
als grenzüberschreitendes Weltkulturerbe anerkannt.
Die Pfahlbauten sind die ersten archäologischen Unterwasser-Denkmäler
auf der Welterbeliste. Insgesamt 111 Pfahlbaufundstellen
in sechs Alpenländern wurden in die UNESCO-Liste
aufgenommen, darunter auch 18 Fundstellen in Baden-Württemberg
und Bayern.
Die
111 ausgewählten Fundstellen verteilen sich auf sechs
Alpenländer: Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich,
Schweiz und Slowenien. Sie repräsentieren ein archäologisches
Erbe, das bis 5.000 Jahre vor Christus zurückreicht.
Die untergegangenen, unter Wasser und im Moor befindlichen
ehemaligen Siedlungen sind ein wertvolles Archiv der
Menschheit. Sie ermöglichen aufgrund der hervorragenden
Erhaltung in einer Zeit ohne Schriftquellen die Rekonstruktion
früher Lebensumstände.
Das
Wissen über die Anfänge der Besiedlung des Alpenvorlandes
basiert über weite Strecken auf Erkenntnissen aus den
Pfahlbauten. Dank naturwissenschaftlicher Analysemethoden
können Baustrukturen ganzer Siedlungen auf das Jahr
genau (Dendrochronologie) datiert und der Werdegang
der Dörfer und ihrer Umgebung (Paläoökologie) nachgezeichnet
werden. Die Erforschung der Pfahlbauten trägt seit Jahrzehnten
maßgeblich zu einem anschaulichen Bild der Vergangenheit
bei. Die Forschung unterscheidet heute mehr als 30 verschiedene,
anhand der Pfahlbauten nachweisbare Kulturgruppen. Die
gegenseitige Beeinflussung mittel- und südosteuropäischer,
westeuropäischer und mediterraner Kulturtraditionen
– auch über die Alpen hinweg – kann anhand der archäologischen
Funde in Pfahlbaustationen erkundet und dargestellt
werden.
Kaugummis
aus der Steinzeit
Pfahlbaustationen
bieten im feuchten Milieu ideale Erhaltungsbedingungen
für organische Materialien. Ohne Luftsauerstoff haben
zersetzende Mikroorganismen keine Chance. Unter Wasser,
in den Seen oder in ständig feuchten Moorböden können
organische Objekte wie Textilien, Holz- und Speisereste
die Zeiten überdauern. Die Pfahlbauten bringen Flöten
aus Holz und Kuriosa wie Kaugummis aus der Steinzeit
zu Tage. Und auch das älteste erhaltene Brot der Welt
stammt aus den Pfahlbauten. Holzgefäße, Fischernetze
und komplette Werkzeuge geben vielfältige und überraschend
lebendige Einblicke in das alltägliche Leben vergangener
Zeiten.
Zu
den bedeutenden Funden aus Pfahlbaustationen gehören
die ältesten Textilien sowie die ältesten Radfunde Europas
aus der Zeit um 3.000 vor Christus. Einbäume, Räder
und Wagen vermitteln wichtige Erkenntnisse zu Handel
und Mobilität der Siedlergemeinschaften der Jungsteinzeit
und der Metallzeiten. Die jungneolithischen, bronze-
und eisenzeitlichen Pfahlbaufundstellen rund um die
Alpen gewähren einzigartige Einblicke in die Welt der
frühen Bauern, deren Alltagsleben, Landwirtschaft, Viehzucht
und technische Innovationen.
Pfahlbauten
in Deutschland
18
der in die Welterbeliste aufgenommenen prähistorischen
Pfahlbauten befinden sich in Deutschland: Am baden-württembergischen
Bodenseeufer liegen neun Pfahlbaustationen, sechs Fundstellen
sind in Oberschwaben zu verzeichnen, südlich von Augsburg
und im Starnberger See liegen die drei bayerischen Pfahlbaufundstellen.
Die
Fundstellen sind grundsätzlich unsichtbar, da sie entweder
unter Wasser liegen oder an Land durch Sedimente zugedeckt
sind. Für die Öffentlichkeit sind sie damit nicht zugänglich.
Doch zahlreiche Museen und Archäologieparks präsentieren
Pfahlbautenfunde in Ausstellungen und zeigen Rekonstruktionen
von Siedlungen, die den außergewöhnlichen Wert der Pfahlbauten
illustrieren.
|